Geschafft. Damit ist nicht das Jahr 2017 gemeint, sondern dieser verdammte Jahresrückblick. Der zweite von drei, die ich kurz vor Silvester anfertigen soll/muss/will. Diese Rückblicke sind immer so eine müßige Angelegenheit. Nehm’ ich nur die Filme, die in diesem Jahr erschienen sind? Platziere ich vielleicht auch ein paar Werke, die erst im in den kommenden Wochen offiziell erscheinen? Was ist mit Festivalbeiträgen? Kurzfilmen? Serien? Und dann immer dieses quälende Taxieren. Gehört Film A auf Position 10 oder reicht doch eine lobende Erwähnung? Stundenlanges pfriemeln, verschieben, verwerfen, bis am Ende sich eine gewisse Fuck-Off-Mentalität durchsetzt. Alles rasch zusammen flanschen, hier noch ein Bild, dort eine Überschrift – Fertig!
Jahresrückblicke sind die Pest, was schade ist, denn insgesamt war mein Kino- und Filmjahr ganz ordentlich. Ich würde jetzt nicht nackt durch die Innenstadt laufen, ein rotes Banner hinter mir her tragen und schreien, “2017 war das tollste Filmjahr seit langem“. Warum auch? Das wäre mir zu kalt und außerdem renne ich nicht gerne. So gesehen ist es also ganz okay, dass es Jahresrückblicke gibt. Spart mit das Nacktrennen in der Kälte und euch den irritierenden Anblick.
Lobende Erwähnungen, immer eine Sichtung wert:
Die Taschendiebin (Chan-wook Park), Elle (Paul Verhoeven), Manchester by the Sea (Kenneth Lonegran), Fremd in der Welt (Macon Blair), Suburra (Stefano Sollima), Moonlight (Barry Jenkins), The Party (Sally Potter), Loving (Jeff Nichols), John Wick: Kapitel 2 (Chad Stahelski) und The Square (Ruben Ostlund).
Herausragende Blockbuster:
Guardians of the Galaxy Vol. 2 (James Gunn), Kong: Skull Island (Jordan Vogt-Roberts), Dunkirk (Christopher Nolan), Star Wars: Die Letzten Jedi (Rian Johnson) und Planet der Affen: Survival (Matt Reeves). Extra-Erwähnung: ReRelease von Terminator 2: Tag der Abrechnung in 3D (James Cameron).
Die hörenswerteste Filmmusik des Jahres:
Moonlight (Nicholas Brittel), Blade Runner 2049 (Hans Zimmer, Benjamin Wallfisch), Die Taschendiebin (Yo Yeong-wook), Wonder Woman (Rupert Gregson-Williams), Get Out (Michael Abels), Loving Vincent (Clint Mansell) und Manchester by the Sea (Lesley Barber).
Leider noch nicht gesehen:
Western (Valeska Grisebach), Neruda und Jackie (Pablo Larraín), The Wailing (Hong-jin Na), Good Time (Safdie Brüder), A Ghost Story (David Lowrey) und The Big Sick (Michael Showalter).
Die Flops des Jahres:
Fack ju Göhte 3 (Bora Dagetkin), Girls Trip (Malcolm D. Lee), Rings – Das Böse in dir (F. Javier Gutiérrez ), Emoji – Der Film (Tony Leonidas), Liebe zu Besuch (Hallie Meyers-Shyer), Fifty Shades of Grey 2 – Gefährliche Liebe (James Foley), Baywatch (Seth Gordon), Genauso anders wie ich (Michael Carney), Happy Burnout (André Erkau), Ein Kuss von Béatrice (Martin Provost) und Flatliners (Niels Arden Oplev).
Größte Enttäuschungen:
Alien: Covenant (Ridley Scott), Mord im Orient-Express (Kenneth Branagh), Atomic Blonde (David Leitch), Das Gesetz der Familie (Adam Smith) und La La Land (Damien Chazzelle).
2018 – meine meisterwarteten Filme:
The Happytime Murders (Brian Henson), Apostle (Gareth Evans), The Man who killed Don Quixote (Terry Gilliam), Die Unglaublichen 2 (Brad Bird), Ready Player One (Steven Spielberg), I Tonya (Craig Gillespie), Solo: A Star Wars Story (vermutlich nur Ron Howard), The Predator (Shane Black), Halloween (David Gordon Green) und The Shape of Water (Guillermo Del Toro).
Platz 15: Mean Dreams (Direkt auf DVD und BD, 19. Mai)
Die Geschichte ist recht formelhaft und frei von wirklichen Eigenheiten, doch vor allem dank der stetig spürbaren Poesie aus Rohheit und zarter Romantik verfügt der Film über einen nicht zu unterschätzenden Sog. Dem kann und sollte man sich hingeben.
Platz 14: Die irre Heldentour des Billy Lynn (Kinostart 22. Februar)
Die irre Heldentour des Billy Lynn besitzt eine große Kraft, die er allerdings nur im Verborgenen einsetzt. Das Drama mit satirischen Tendenzen ist durchaus gelungen, besitzt teils grandiose Szenen und doch reicht es nicht aus, um die Klasse eines Meisterwerks zu erreichen. Schuld ist vor allem die Dramaturgie, die keine durchgängige Spannung zu genieren vermag. Trotzdem liefert Oscar-Preisträger Ang Lee hier einen Film ab, der definitiv den Wert besitzt, dass man ihn sehen und über ihn sprechen sollte und damit ist nicht die neue Technik gemeint, mit der er gefilmt wurde.
Platz 13: Loving Vincent (Kinostart 28. Dezember)
Hinter Loving Vincent steht ein Aufwand, den man nur schwer begreifen kann. Unzählige Künstler übermalten jedes zuvor aufgenommen Bild des Films im Stile von van Gogh und dies per Hand. Jedes Frame wurde einzeln überarbeitet. Eine Sisyphusarbeit, der man nur Hochachtung und Respekt entgegen bringen kann und auch sollte, vor allem wenn das Endergebnis so hochwertig, prächtig und rund wirkt wie bei Loving Vincent. Da liegt es natürlich auf der Hand, dass die Bilder das wahre Kernelement des Films sind. Die Geschichte, die sich erzählen rückt in den Schatten, dabei hat diese auch ihre Faszinationen. Die fast schon detektivische Spurensuche eines jungen Mannes nach den Ursachen von van Goghs angeblichen Selbstmord hat durchaus seine einnehmenden Momente. Letztlich bleibt dieser Quasi-Krimi aber recht flach und leidet zum Teil an arg hölzernen Dialogen. Es ändert aber einfach nichts daran, dass die Schönheit und die Einzigartigkeit des Films diese Mängel größtenteils hinweg fegt wie ein Orkan.
Platz 12: Logan – The Wolverine (Kinostart 2. März)
Logan – The Wolverine ist wie eine finale Arie, die sich kohärent weigert den Größenmaßstab früherer Franchise-Ableger nach zu eifern. Alles hier wirkt kleiner, intimer aber auch intensiver und durchdachter. Das könnte einige Zuschauer gewiss stören, denn der Film ist teils wirklich unglaublich langsam in seiner Narration und zum anderen ist er auch kein Action-Festival. Gigantische Schlachten, Explosionen und massive Feuergefechte gibt es hier nicht. Ebenso wenig ist Logan – The Wolverine ein Splatterfilm. Ohne Frage, hier geht es brutal zu, aber Mangold inszeniert die Gewalt niemals als eigentliche Zweck. Sie ist schlicht und ergreifend einfach das, was den Film letztlich so gut macht: Sie ist pure Konsequenz.
Platz 11: Valerian – Die Stadt der tausend Planeten (Kinostart 20. Juli)
Wer sich für Bessons Valerian öffnen kann, der erlebt einen Film mit Seele, Detailliebe und vor allem mit Charme. Etwas was diese Produktionen von anderen, ähnlichen Werken wie etwa John Carter oder Jupiter Ascending klar und deutlich unterscheidet. Valerian ist ein verfilmter Groschenroman des Genres: trivial, direkt und voller Begeisterung für die Möglichkeiten der Phantasie.
Platz 10: Aus dem Nichts (23. November)
Fatih Akin hat keinen Bock auf Objektivität. Sein Drama suhlt sich regelrecht in Subjektivität. Dabei ist jederzeit eine durchaus energetische Wut, aber auch eine gewisse Angst zu spüren, die Aus dem Nichts regelrecht antreiben. Richtig gut macht den Film aber tatsächlich erst Diane Kruger, die nicht selten als Anti-Darstellerin bezeichnet wird. Akin schafft diese Bezeichnung aber aus der Welt. Kruger darf facettenreich agieren und überzeugt in jedweder Form, egal als ob seelisch zertrümmerte Person, oder als Racheengel, ohnmächtig und gleichsam berauscht von den eigenen Gefühlen. Starke Leistung in einem starken Film.
Platz 9: Baby Driver (Kinostart: 27. Juli)
Boy meets Girl + Gangster. Baby Driver ist für Wrights Verhältnisse von den Figuren und der Geschichte wirklich etwas platt. Dennoch funktionieren beide Aspekte. Die Romanze zwischen Baby und der Kellnerin Debora (während des Guckens habe ich mich wirklich etwas in Lily James verliebt) hat mich zumindest auf der Leinwand mehr beflügelt, bewegt und vereinnahmt als La La Land. Das Kernelement des Films ist aber natürlich seine Inszenierung und hier beweist Wright, dass er ein Virtuose ist. Wie er Musik, Sounddesign, Bewegung und Bildsprache miteinander kombiniert,verwirbelt, montiert und gegenseitig in die Höhe treibt ist furious, smart, spaßig und antreibend schön. Baby Driver zu mögen ist Kino zu lieben.
Platz 8: T2: Trainspotting (Kinostart 16. Februar)
Wer sich hier eine Kopie oder einen Epigonen des ersten Teils erhofft hat und wer den Vorgänger weder kennt oder mag, für den ist T2: Trainspotting vor allem eines: ungeeignet. Statt einfach nur plump prägende Szenen zu wiederholen, kümmert sich das Sequel um die Aufarbeitung der Vergangenheit, ohne dabei die Gegenwart zu vernachlässigen. Das ist tolles, ehrliches aber auch bitteres Kino, dass kein Rausch mehr sein will, sondern mehr eine Entgiftung – dabei aber dennoch Spaß macht. Sag ja zum Sequel!
Platz 7: Schneeflöckchen (ohne Kinostart)
Schneeflöckchen hat einfach ein sichtbares Vertrauen gegenüber der eigenen Qualität. Hier wird sich nicht angebiedert und hier wird sich auch nicht versteckt. Ein Projekt mit dem Herz am rechten Fleck und der Hand in der angeschwellten Hose. Aber auch eine Produktion die sichtbar mit Eifer, Herzblut, Engagement und Hintergedanken entwickelt und durchgeführt wurde. Wer behauptet das deutsche Genre- und Nachwuchskino sei tot, hat noch nicht Schneeflöckchen gesehen. Ein origineller, selbstbewusster und engagierter Film, der ohne Kompromisse seinen eigenen Weg geht. Das Ergebnis ist so erfrischend wie trotzig. Bitte mehr davon.
Platz 6: Detroit (Kinostart 23. November)
Dokumentarisch, roh, radikal, politisch und niederschmetternd. Kathryn Bigelow at her best. Zu Beginn tastete ich noch nach Fixpunkten. Wo sind die Hauptfiguren? Wo die Plotline? Bigelow lässt einen am langen Arm verdursten und öffnet einem so erst die Augen für ihre deutlich mit Wut, Schmerz und Ohnmacht erstellte Schreckenssymphonie. Detroit schlägt in die Magengrube, hat ein Bekannter zu mir gesagt. Stimmt. Aber außerdem schuppst er einen noch herum und tritt gerne auch einmal zu. Schön? Nein, aber großartig.
Platz 5: Get Out (Kinostart 4. Mai)
Eine wunderbare Melange aus Horror, Humor und gesellschaftlicher Bestandsaufnahme. Regisseur Peele versteht es wirklich gut Unwohlsein, Unerklärliches und urigen Grusel-Topos miteinander zu vereinen. Get Out ist spannend, atmosphärisch, amüsant und sehr eigen. Ein Film der seinen Erfolg absolut verdient hat.
Platz 4: The Killing of a Sacred Deer (Kinostart: 28. Dezember)
Wenn man Dogtooth und The Lobster kennt, dürfte der Stil von Regisseur und Autor Yorgos Lanthimos schon recht vertraut wirken, so dass The Killing of a Sacred Deer vielleicht schon etwas Gewöhnliches inne hat. Aber genau das gefiel mir. Es war wie eine Rückkehr in einen Mikrokosmos der fremd und dennoch so nah erscheint, dass ich im Kino saß und wie ein kleines Kind staunte, mit welcher Hingabe, Präzision und Boshaftigkeit er die Regeln unserer Welt sezierte.
Platz 3: mother! (Kinostart 14. September)
mother! ist wüst, löst zunehmend Unbehagen aus, konfrontiert sein Publikum mit der eigenen Machtlosigkeit und versilbert dies alles dazu mit einer großen Portion Orientierungsverlust. Ein Werk welches stetig und wankend umherspringt: Sanft und aggressiv, leise und laut, Lachen und Weinen, Singen und Schreien, energetisch und katatonisch, lebendig und tot. Zu mother! kann und sollte wohl nur ein Rat erteilt werden: Hingehen und ansehen. Am besten im Kino, wo sich das superbe Sound Design und die fokussierten Bilder richtig in die Synapsen brennen und hineinfressen können. Ob einem das gefällt steht auf einem anderen Blatt Papier. Aber alleine die Erfahrung sollte es wert sein.
Platz 2: Fences (Kinostart 16. Februar)
Ja, hierbei handelt es sich eigentlich um ein abgefilmtes Theaterstück und ja Denzel Washington spielt und inszeniert alles auch wie im Theater. Eine wirkliche, cineastische Ästhetik lässt sich hier nur selten ausmachen. Mir aber völlig egal. Dieses Drama besitzt eine solche unbändige Kraft, dass mich der Film von der ersten Minute an in seine Fänge nahm. Kein großes Kino, aber ein großer Film. Sehr wohltuend.
Platz 1: Silence (Kinostart 2. März)
Gerade, als ich dachte, dass Martin Scorsese nicht mehr wirklich interessant für die heutige Zeit ist, feuert der Meister diese Perle heraus. Eine Gewalt von Film und das auf allen Ebenen. Ein unbequemes, lange nach hallendes Meisterwerk, dessen subjektive Erzählung zum besten gehört, was 2017 über die Leinwände flimmerte. Für mich Scorseses bester seit Kap der Angst.
Bonus: Video des Jahres
[youtube https://www.youtube.com/watch?v=dXlao2KNYjQ]